Info-Abend „Munition im Meer“ – ein voller Erfolg
Kurz vor 18 Uhr wurde der allerletzte Stuhl aufgestellt, danach mussten die Besucher*innen mit Plätzen auf den Fensterbänken vorliebnehmen. Mehr als 200 Menschen strömten am Dienstag, dem 22. Juli, auf Einladung des Vereins für Regionalgeschichte nach Haffkrug ins Haffhuus, um sich anzuhören, was Expert*innen zum Stand der Munitionsbergung in der Lübecker Bucht vortrugen.
Professor Dr. Edmund Maser, Direktor des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler am Universitätsklinikum in Kiel, fasste seine jahrelangen Forschungen zur Wirkung von TNT, das nach und nach aus der versenkten und korrodierenden Munition austritt, für Verbraucher prägnant zusammen: krebserregende Sprengstoffe und sprengstofftypische Verbindungen sind in Muscheln und Fischen nachweisbar und sie machen die Tiere krank, noch kann man Fisch allerdings essen.
Uwe Wichert, ehemaliger Marineoffizier, ist der Fachmann für das Aufspüren von versenkten Kriegsaltlasten anhand alter Dokumente und Fotos. So zeigte er eine Anordnung vom 4. Juli 1945, in der die britische Royal Navy vier Munitionsversenkungsgebiete in Norddeutschland auswies. Die Verklappungsfahrten starteten in Flensburg, Kappeln, Kiel und Lübeck – von hier aus wurde die gefährliche Fracht, die die Besatzungsmächte unbedingt schnell loswerden wollten, vor Pelzerhaken und Haffkrug versenkt.
Mareike Keller, Geologin, forscht am Kieler GEOMAR daran, wie man mit technischen Methoden Munition im Meer exakt detektieren und kartieren kann. Sie und ihre Kolleg*innen begleiten die Pilotierungsarbeiten in der Lübecker Bucht. Ergebnisse ihrer Arbeit sind u.a., dass dort bisher 492 Munitionshaufen und 2.412 Einzelobjekte lokalisiert wurden. Die meisten Objekte sind noch in einem guten Zustand, andere, wie z.B. Fi103-Gefechtsköpfe (V1 Anm. U.G.) sind von starker Korrosion betroffen.
Als letzter sprach Dr. Wolfgang Sichermann, Geschäftsführer der Firma Seascape, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums das „Sofortprogramm Munitionsaltlasten“ in Nord- und Ostsee koordiniert. Bei den verschiedenen Einsätzen vor Pelzerhaken und Haffkrug im vergangenen und diesem Jahr hat sich erwiesen, so Sichermann, dass die Techniken zur Bergung und Erfassung der Munition funktionieren. Derzeit läuft ein Verfahren zum Bau einer schwimmenden Plattform, die vor Ort Granaten, Bomben, Patronen und Co. unschädlich machen soll. Der Auftrag soll Ende 2025 erteilt werden – vor Ende 2026 wird die Plattform nicht zum Einsatz kommen.
Auch wenn diese erste Plattform voraussichtlich nur ca. 1000 Tonnen Munition pro Jahr unschädlich machen kann – bei 300.000 Tonnen allein in der Ostsee -, sie wird ein erster Schritt sein auf dem langen Weg zur Entwaffnung unserer Meere, wie die ebenfalls anwesende Ostholsteiner Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn betonte. Und sie verwies darauf, dass die Fortführung des Sofortprogramms im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung festgeschrieben sei.
In diesem Zeitzeichen erzählen Joachim Heinz und Markus Harmann:
Das Museum für Regionalgeschichte in Pönitz präsentiert mit der Sonderausstellung
„Munition im Meer – Das explosive Erbe“
umfassende Informationen zur aktuellen Bergung der Munitionsaltlasten. Dazu gehören
Die Ausstellung wurde vom NDR in der Sendung Schleswig-Holstein-Magazin porträtiert. Der Film wurde am 30. Mai um 19:30 Uhr gezeigt.
Umweltminister Goldschmidt (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN): „Ein Meilenstein bei der Bewältigung einer Generationenaufgabe“
KIEL/BERLIN. Schleswig-Holstein wird Pilotregion für die Bergung von Munitionsaltlasten in der Ostsee. Die Bundesregierung wird in den kommenden Tagen eine entsprechende Ausschreibung für Erkundungs- und Bergungsmaßnahmen in Gebieten in der Lübecker Bucht und Mecklenburger Bucht veröffentlichen. Darüber informierte das zuständige Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) das Schleswig-Holsteinische Umweltministerium.
Auch in Scharbeutz…
wurde in den vergangenen Jahren bei vielen Gelegenheiten vor den tickenden Zeitbomben vor der Küste gewarnt.
Wertschöpfung sichern - Umwelt schützen
Die Lübecker Bucht ist im besonderen Maße von erheblichen Munitionsaltlasten in der Ostsee betroffen. Hier liegen mehr als 50000 Tonnen vorwiegend aus dem 2. Weltkrieg. Es ist großenteils bekannt, wo die Munition liegt, und es gibt deutliche Hinweise, dass sie zunehmend instabiler wird. Maritime technischen Anlagen für die umweltgerechte Entsorgung stehen bereit.
Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von den Ortsverbänden Neustadt, Scharbeutz und Timmendorfer Strand fordern, dass die Ostseeregion hinsichtlich Nachhaltigkeit und Wertschöpfung internationale Pilotregion für den umweltgerechten Umgang der Bergung von Munitionsaltlasten wird.
Am Montagabend, 26.4., hat das Europaparlament mit breiter Mehrheit eine Resolution beschlossen, die die EU-Kommission und betroffene Ostseeanrainer zum Handeln auffordert. Mindestens 50 000 Tonnen konventioneller und chemischer Waffen wurden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Ostsee entsorgt. Konkret fordern die Europaabgeordneten, betroffene Gebiete zu finden und zu markieren, umweltfreundliche und effektive Maßnahmen zur Beseitigung des Materials vorzuschlagen, Informationskampagnen für die Menschen vor Ort aufzulegen und Notfallpläne für den Fall einer Umweltkatastrophe vorzubereiten.
Die Resolution finden Sie hier: Resolution zur Ostsee 23/03/2021
Rasmus Andresen, schleswig-holsteinischer Abgeordneter der GRÜNEN im EU-Parlament, sagt dazu:
„Munitionsaltlasten in unserer Ostsee sind eine große, meist unsichtbare Gefahr für die Umwelt und die Menschen in den Küstenregionen. Als Europaparlament haben wir jetzt die Initiative ergriffen, um eine Lösung für das Problem zu erarbeiten. Zu lange haben EU-Kommission und betroffene Mitgliedstaaten bisher die Augen vor dem Problem verschlossen.
Auch vor der Küsten Schleswig-Holsteins liegen große Mengen versenkter Munition und chemischer Kampfstoffe. Umweltminister Jan-Philipp Albrecht hat bereits die Initiative ergriffen und fordert wie wir Grüne im Europaparlament die Beseitigung der Munition. Bisher fehlt es dazu an der notwendigen Unterstützung aus Berlin und Brüssel. Wir erwarten jetzt, dass die EU-Kommission und die Bundesregierung aktiv werden und gemeinsam mit unseren Nachbarn im Ostseeraum über EU-Programme und die nationalen Haushalte ausreichend Ressourcen bereitstellen.”
Bereits in der Sitzung der Gemeindevertretung Scharbeutz vom 24. Juni 2020 wurde ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD zur Munitionsbelastung in der Lübecker Bucht einstimmig verabschiedet.
Jetzt fordern GRÜNE und FDP in Schleswig-Holstein in einem interfraktionellen Antrag an den Bundestag die Bundesregierung auf, sich endlich um das Problem der in der Nord- und Ostsee versenkten Weltkriegsmunition zu kümmern. Bundesregierung, Küstenländer, Wissenschaft, Wirtschaft und Umweltverbände sollen „gemeinsam eine Strategie für die Bergung und umweltverträgliche Vernichtung von Munitionsaltlasten“ entwickeln.
Deutscher Bundestag: Antrag der Fraktionen FDP und Bündnis90/Die Grünen
Die erstmalige Erörterung des Antrags im Bundestag findet am
Donnerstag, den 15.04. um 15:10 Uhr
statt. Sie wird auf dem Fernsehsender phoenix live übertragen.
Deutscher Bundestag: Artikel zur 1. Lesung
In der Sitzung der Gemeindevertretung Scharbeutz vom 24. Juni 2020 wurde ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD zur Munitionsbelastung in der Lübecker Bucht einstimmig verabschiedet.
Beschluss:
Die Gemeindevertretung ist der Auffassung, dass die Bergung, Unschädlichmachung und Entsorgung der in der Lübecker Bucht versenkten Munition dringend und umgehend erforderlich ist, um die weitere Gefährdung von Mensch, Tourismus und Umwelt zu beenden.
Die Bürgermeisterin Frau Bettina Schäfer wird aufgefordert, auf die Landesregierung einzuwirken, dass ein Fond möglichst zusammen mit den anderen Bundesländern, der Bundesregierung und dem europäischen Parlament gebildet wird, um die Bergung von Munition in den Meeren, insbesondere der Lübecker Bucht, schnellstmöglich durchführen zu können.