Resolution gegen TTIP, TiSA und CETA – Begründung

Worum geht es? 

Andreas Gurth sagt: „ich bin für Freihandel“.

Sicher: „Grenzenloser Handel schafft Wohlstand für alle“, das hat schon vor über 200 Jahren der britische Nationalökonom Ricardo behauptet und gilt bis heute als zentrale Grundlage der Wirtschaftspolitik! Dabei wissen wir längst, dass das nur eine theoretische Möglichkeit ist und es in Wirklichkeit immer Gewinner und Verlierer gibt. Alle heutigen großen Wirtschaftsmächte wie E, USA, D haben vor ihrem Aufstieg aber erst mal Protektionismus betrieben, um überhaupt mit ihrer Industrie nach vorne zu kommen. Unsere EU hieß früher EWG, weil sie sich den freien Binnenmarkt zum Hauptziel gesetzt hatte. Der Euro sollte das Projekt vollenden, inzwischen müssen wir hier auch Probleme erkennen!

Es wird damit geworben, dass TTIP Wachstum und Arbeitsplätze für Europa bringen soll. Sehen wir einmal davon ab, dass solche Vorhersagen sich schon beim europäischen Binnenmarkt und der NAFTA im Nachherein als falsch erwiesen haben, so sind diese Vorhersagen nach einer Studie im Auftrag der EU-Kommission schon viel bescheidener: 0,5% Wachstum bis 2027 – insgesamt! - d.h. 0,034% jährlich! 180.000 neue Jobs für Deutschland, d.h. 13.000 pro Jahr! Das sind statistisch unrelevante Größenordnungen!

Tatsächlich geht es beim Freihandel vor allem darum, dass Unternehmen größere Stückzahlen zu gleichen Fixkosten produzieren können, was die Stückkosten senkt. Das kann dann zu Preissenkungen zum Wohle der Konsumenten führen und/oder zu steigenden Gewinnen für die transnationalen Konzerne.

Nun gibt es zwischen Europa und Nordamerika aber nur noch im Schnitt 4% Zölle (die sog. „tarifären Handelshemmnisse“), da kann man also nicht mehr viel verbessern. Und so geht es bei diesen Abkommen auch vornehmlich um die sog. „nicht-tarifären Handelshemmnisse“.

Was ist damit gemeint?


1. Technische Standards

Z.B. das berühmte Blinklicht bei Autos, in Dtld. gelb, in den USA rot. Unterschiedliche Standards verteuern die Produktion und gelten deshalb als Handelshemmnisse. Sind solche technischen Standards in den Exportmärkten gleich, macht das die Produktion günstiger. Davon haben alle etwas und das ist deshalb auch völlig unstrittig, solange es nicht auf Kosten der Sicherheit geht.

 

2. Gesundheits-, Verbraucherschutz-,Umweltschutz- und Sozialstandards

Dies ist der erste dicke Streitpunkt bei TTIP!

Beispiel: hormonbehandeltes Fleisch, das berühmte Chlorhühnchen, genmanipulierte Nahrungsmittel, CO2-Verbrauch von Neuwagen.

Dazu heißt es in der Resolution der kommunalen Spitzenverbände (Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund) und des Verbandes Kommunale Unternehmen (VKU): „Unterschiedliche Standards und Regulierungsansätze in der Umwelt- oder Verbraucherschutzpolitik können als nicht-tarifäre Handelshemmnisse angesehen werden. Ziel dieser Maßnahmen ist in aller Regel jedoch kein Protektionismus, sondern die Umsetzung eines gesellschaftlichen Konsenses über verbraucher- oder umweltpolitische Fragen. Umfasst sind z.B. die Zulassung bestimmter Pflanzenschutzmittel oder auch die Erzeugungsprozesse von Lebensmitteln. Die Anstrengungen zum Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse und zur Schaffung regulatorischer Kohärenz dürfen daher nicht dazu führen, dass der Handlungsspielraum der EU oder der Mitgliedsstaaten, z.B. in ihrer Umweltpolitik, bestimmte als notwendig erachtete erhöhte Standards oder von Vertragspartnern abweichende Regulierungsansätze beizubehalten oder neu einzuführen, eingeschränkt wird. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern daher, dass bei unterschiedlichen Schutzniveaus die in der EU einheitlich oder national geltenden Standards auf keinen Fall mit einem vorrangigen Ziel des Abbaus von Handelshemmnissen reduziert werden dürfen; dies gilt insbesondere für den Umwelt- und Verbraucherschutz“.

BeispielArbeitsnormen: CETA akzeptiert, dass Kanada noch nicht einmal alle Kernarbeitsnormen der ILO ratifiziert hat. Diese Normen sind jedoch für das Vergaberecht und den Wettbewerb enorm wichtig, wenn Arbeitnehmerrechte gewahrt werden sollen!

Beispiel Sicherheitsstandards: in Europa gibt es z.B. das „Vorsorgeprinzip“. Dies ist nicht irgendeine Vorschrift, sondern ein herausragendes europäisches Rechtsprinzip mit Verfassungsrang, das sowohl im Umweltschutz als auch in der Agrarpolitik, im Lebensmittelrecht und im Gesundheitsschutz leitend ist. Es besagt, dass z.B. ein Unternehmen, das eine neue Chemikalie in Verkehr bringen will, deren Unschädlichkeit für Mensch und Umwelt nachweisen muss! Diese vorsichtige, vorsorgende Herangehensweise hat ihren Ursprung in der deutschen Umweltpolitik der 1970er Jahre nach den schlimmen Erfahrungen beispielsweise mit DDT und Asbest. Die Amerikaner und Kanadier aber folgen immer noch dem „Nachsorgeprinzip“ (Ausnahme Medizinprodukte). Demnach darf ein Unternehmen beispielsweise Asbestprodukte auf den Markt bringen, und die Beweislast für die Schädlichkeit liegt jetzt beim Gesetzgeber, der erst eingreifen kann, wenn er umfangreiche wissenschaftliche Nachweise für die Schädlichkeit eines Produkts vorlegen kann. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese amerikanische Vorgehensweise findet sich in dem Buch von Thilo Bode: als der Chef der Bundeshandelsbehörde James Miller ein Fall von schadhafter Rettungsausrüstung für Seeleute zu Ohren kam, sah er keinen Grund, gegen den Hersteller vorzugehen: wenn Menschen ertränken, so seine Begründung, würde die Firma ja früher oder später verklagt, der Markt würde alles Weitere regeln. Ich war jüngst sehr betroffen, als ich von einem guten Bekannten und verdienten Rentner in Obernwohlde hörte, dass er Krebs hat – Asbestlunge! Ich möchte nicht, dass Menschen erst massenhaft sterben müssen, bevor ein Produkt verboten wird. Ich finde, die Gesundheit sollte klar Vorrang behalten vor den wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens!

 

3. Eingriffe in diekommunale Selbstversorgung

Kommunale Selbstversorgung ist ein urdemokratisches Prinzip, das als Subsidiaritätsprinzip sogar in der EU-Verfassung verankert ist. Es bedeutet, die kleinere Gemeinschaft hat Vorrang im Handeln gegenüber der großen Gemeinschaft. Auf dieser Grundlage aufbauend stellen wir als Kommune in Stockelsdorf sicher, dass unsere Bürgerinnen und Bürger vor Ort das vorfinden, was sie als Voraussetzung für ein gutes Leben brauchen: Gas, Strom und Wasser, Abwasserbeseitigung, Verkehrswegenetz, Kindergärten, Schulen und kulturelle Einrichtungen. Diese kommunale Daseinsvorsorge ist in Gefahr! Die gemeinsame Resolution der Spitzenverbände und VKU stellt dazu fest: „die EU schließt bisher nur hoheitliche Bereiche aus. Das bedeutet, dass z.B. Bereiche wie Wasserversorgung, Bildung, Kultur, Gesundheitsleistungen oder Nahverkehr verstärkt für Privatisierungen geöffnet werden können.

Beispiel Trinkwasser:Die Überlegenheit der Daseinsvorsorge durch die Kommunen selbst wurde nach der Privatisierung von Wasserwerken weltweit (s. London) offensichtlich. Denn dort waren die Preise zwischen 260% und 400% gestiegen und das oft bei gleichzeitiger Verschlechterung der Trinkwasserqualität. Dies zu verhindern ist nicht zuletzt für die Wohlfahrtsverbände ein wichtiger Bestandteil der Armutsprävention und Grund für ihre Beteiligung am Bündnis gegen TTIP und CETA. Unsere Gemeindewerke Stockelsdorf sind nicht nur ein Garant für gesundes Wasser, sondern auch für günstige Preise bei Wasser, Gas und neuerdings auch Strom; sie engagieren sich darüber hinaus auch für nachhaltige Energieversorgung durch Nahwärme,Windkraft sowie Solarthermie und sorgen sogar noch für jährliche Einnahmen im Gemeindehaushalt in Höhe von bis zu einer halben Million Euro über Gewinnabführung und günstige Gestaltung der Konzessionsabgabe!

In den Abkommen wird nun geregelt, welche Dienstleistungen von den Kommunen erbracht werden dürfen und welche dem Wettbewerb unterliegen müssen. Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die kommunale Daseinsvorsorge von allen weiteren Handelsabkommen ausdrücklich ausgenommen wird!

 

4. Schiedsgerichte

Dieser Punkt wird in der Öffentlichkeit heftig diskutiert und kritisiert und ist Ihnen allen sicherlich bekannt. Es ist verständlich,dass Unternehmen, die im Ausland investieren, Investitionssicherheit wünschen. Das kann doch aber nicht soweit gehen, das private Hinterzimmergerichte über Entschädigungszahlungen von Staaten in Milliardenhöhe entscheiden!

Einige Beispiele mögen Ihnen zeigen, wohin das führt:

Bsp. Philip Morris gegen Australien:Im Bemühen, die Zahl der Raucher zu reduzieren, erließ Australien als erstes Land der Welt 2012 ein Gesetz, das Einheitsverpackungen für Zigaretten vorschreibt. Es darf nur noch der Markenname und die Produktbezeichnung draufstehen, ansonsten sind alle Packungen dunkelbraun und warnen in dunklen Lettern und sehr drastischen Bildern vor den Folgen des Tabakkonsums. Das Gesetz ist nach jahrelanger Debatte auf demokratische Weise zustande gekommen, außerdem wurde es nach Klage von Tabakfirmen vom höchsten australischen Gericht für rechtens erklärt! Und nun klagt Philip Morris mit Sitz in New York aber Niederlassung in Hongkong vor einem privaten Schiedsgericht unter Berufung auf einen Investitionsschutzvertrag zwischen Hongkong und Australien – Revision ausgeschlossen! Aus dem gleichen Grund geht Philip Morris gegen Uruguay und fordert dort 2 Mrd. Dollar Entschädigung, was etwa 4% der BIP entspricht!

Bsp. E.ON: E.ON klagt gegen Spanien vor einem privaten Schiedsgericht, weil es die Subventionen für erneuerbare Energien zusammen strich und beruft sich dabei auf die Investitionsschutzregeln im Energiechartavertrag.

Bsp Schleswig-Holstein: Schleswig-Holsteins Politik gegen Fracking könnte mit CETA ausgehebelt werden. Ausgerechnet ein kanadischer Konzern (PRD Energy) hat unlängst eine Erkundungserlaubnis für eine mögliche Reaktivierung der Erdölfelder in Bad Bramstedt und Elmshorn erhalten und könnte mit Hilfe von CETA eine spätere kommerzielle Nutzung leicht durchsetzen. Auf der Grundlage des Investitionskapitels der Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) verklagt ein amerikanischer Konzern Kanada vor einem derartigen Schiedsgericht wegen eines Fracking-Moratoriums in der Provinz Quebec.

Was diese Beispiele belegen, ist eigentlich unfassbar: Souveräne Staaten mit demokratischer Verfassung begeben sich durch Investitionsschutzabkommen gegenüber Privatpersonen und privaten Unternehmen freiwillig in die Rolle von schadensersatzpflichtigen Beklagten!

In der SZ kommentierte das Heribert Prantl: „Hinter den Chlorhühnchen versteckt sich einer der gefährlichsten Angriffe auf die demokratischen und Sozialstaaten, die es je gegeben hat. Das Freihandelsabkommen will exklusive Sonder- und Schutzrechte für Großinvestoren schaffen, welche die Parlamente binden und fesseln; wenn der Staat neue Gesetze erlässt, muss er künftig fürchten, dass ihn ein Konzern wegen enttäuschter Gewinnerwartungen, wegen ´indirekter Enteignung´ auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt...Das ist ein Eingriff in die Rechtsetzungshoheit der Rechtsstaaten, die nicht mehr frei sind, ihre Verfassungsprinzipien in Gesetzesrecht zu übersetzen – weil dem Handelsabkommen ein mit Milliardenstrafen bewehrter Vorrang eingeräumt wird. Geld schlägt die demokratische Verfassung; das ist der Mechanismus dieses Investitionsschutzes“.

Damit sind wir bei dem ganz großen Thema dieser Kritik an den Handelsabkommen:

 

5. Demokratie und Transparenz

a) Transparenz und Beteiligung an der Gesetzgebung

Die Verhandlungen zu allen drei Abkommen fanden und finden als Geheimverhandlungen statt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nicht einmal die EU-Abgeordneten haben uneingeschränkten Zugang zu den Dokumenten. Und obwohl Städte und Kommunen direkt betroffen sind, werden nicht mal die kommunalen Spitzenverbände in die Verhandlungen eingebunden. Dies entspricht nicht den demokratischen Standards. Deshalb fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU eine Beteiligung der kommunalen Ebene an den Beratungen der Kommission und an der Entscheidungsfindung.

b)Stillstand- und Sperrklinkenklausel

Einmal deregulierte Bereiche dürfen nicht mehr zurück genommen werden! CETA sieht keine eindeutige, grundsätzliche Ausnahme von öffentlichen Dienstleistungen von der Liberalisierung vor! D.h. also, dass die Möglichkeit von Rekommunalisierung, wie bei Wasser und Strom (s. Berlin, Hamburg und auch Stockelsdorf) bedroht ist! Deshalb fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU: „Die Organisationsfreiheit der Kommunen muss sichergestellt werden und Rekommunalisierungen uneingeschränkt möglich bleiben“.

c) Der Regulierungsrat

Die Wochenzeitung Die Zeit hat den geplanten Regulierungsrat als ein „Supergremium“ bezeichnet, das „Industrievertretern exklusiven Zugang zu Gesetzesvorhaben einräumen soll – ein Freifahrtsschein für Lobbyisten“. Die lobbykritische Brüsseler Organisation CEO urteilte:“ In diesem Regulierungsrat würden Wirtschaftsverbände am Tisch mit den Regulierern sitzen und Gesetze förmlich mitschreiben. Die Wirtschaft wäre von Anfang an in die Vorgänge mit einbezogen, lange vor jeder öffentlichen und demokratischen Debatte. Die Wirtschaft hätte beste Möglichkeiten, wichtige Vorschläge zur Verbesserung bei Lebensmittelstandards und im Verbraucherschutz abzuwürgen.“ Nach Presseberichten soll der TTIP-Regulierungsrat exklusive gegenseitige Informationspflichten für die Regulierer vorhersehen, so dass z.B. Pläne für EU-Verordnungen in den USA landen, noch bevor sie das EU-Parlament oder die europäischen Regierungen erreichen. Die USA wären somit klammheimlich zu einer Art Sondermitglied der EU geworden!

d) Festlegung von Standards

TTIP ist als ein „lebendes Abkommen“ konzipiert. Einmal festgeschriebene Standards können in Zukunft nur noch einstimmig verändert werden. D.h. höhere Standards sind nur möglich, wenn die USA zustimmen! Was das für die Weiterentwicklung von Gesundheits- Sicherheits- Sozial- und Umweltstandards in Europa bedeutet, mag sich jeder selbst ausmalen!

Rolf Dohse, Fraktionsvorsitzender B90/DIE GRÜNEN OV Stockelsdorf 

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